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Die “perfekte Atem-Behandlung” von F.M. Alexander

Autorenbild: HendrikHendrik

Aktualisiert: 10. März



Ungestörte Atmung ist der Vitalitätsfaktor Nummer 1 und der Schlüssel, um die natürliche Stimme zu befreien, was wiederum meine Botschaften unwiderstehlich macht


Doch wie kann ich die Atmung verbessern?


Hier ist eine Liste mit Störquellen, die du dafür angehen musst. Sie ist weit über 100 Jahre alt und schon lange bewährt, aber dennoch erstaunlich wenig bekannt angesichts ihrer Wirksamkeit.


Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert schrieb Frederick Matthias Alexander einen Artikel über „Die Vorbeugung und Heilung der Tuberkulose.“*. Darin benannte er häufige Gründe für schlechte Atemmuster und zeigte, welche konkreten Hindernisse es aus dem Weg zu räumen gilt, um die Atmung freier zu machen - also einen Lernweg, wie sich die Atmung verbessern lassen könnte.


Alexander, Namensgeber der Alexander-Technik, begann seine Karriere als “The breathing man”, als der Atem-Mann. Das entbehrt nicht der Ironie, weil heute üblicherweise nur selten in Alexander-Sitzungen tatsächlich über den Atem gesprochen wird, obwohl immer auch an der Verbesserung der Atmung gearbeitet wird. Atem ist sozusagen ein großer, unsichtbarer Elefant im Raum (the elephant in the room), aus guten Gründen. Denn sobald man an den eigenen Atem denkt, gibt es unweigerlich die Tendenz zu manipulieren: Tiefer einzuatmen, länger auszuatmen, den Atem zu halten, in die Brust atmen, in den Bauch atmen… All das kann zu dauerhaften Haltemustern führen, also das Gegenteil von dem bewirken, was ich eigentlich will. Es lohnt sich misstrauisch zu werden, wenn eine Atemtechnik - ein bestimmten Atem-“Stil” ausruft als wäre das eine Frage persönlicher Vorlieben. Aus Halbwissen und populären Irrtümern können sich schnell schlechte Gewohnheiten formen.


Alexander nannte seinen Ansatz frei von Bescheidenheit “die perfekte Atembehandlung” (the perfect respiratory treatment). Er habe nämlich nicht noch eine weitere Atemtechnik erfunden, sondern die einzige Technik verstanden, die es gäbe, nämlich die der Natur. Ob seine "Behandlung" perfekt ist, lasse ich mal dahingestellt. Aber: Wenn du dich auf seinen vorgeschlagenen Lernweg begibst, kann dich das weit bringen und deine Atmung beträchtlich verbessern. Alexander selbst musste das auch erst lernen, als Frühgeburt hatte sich seine Atemkoordination noch nicht ausgebildet als er auf die Welt kam. Er bediente sich eines mühsames Hilfsmusters, das sein Überleben sicherte, aber später zu Stimmproblemen führte.


Die Vorteile

Alexander selbst listete zehn konkrete Nutzen seines Ansatzes auf.

Die “perfekte Atem-Behandlung" würde:


1. Die Menge der in die Lungen ein- und ausströmenden Luft erhöhen

2. Das Blut angemessen mit Sauerstoff versorgen (oxygenieren)

3. Die “Vitalkapazität” erhöhen

4. Die Beweglichkeit von Brustkorb und Rippen verbessern

5. Die Lungen besser gesund halten

6. Die Verdauungsorgane anregen

7. Die Herzfunktion verbessern

8. Übermäßige Beanspruchung der Kehle beim Sprechen und Atmen verringern

9. Die vorteilhafte Gewohnheit fördern, durch die Nase zu atmen

10. Und so den Behandelten die Kosten für den Arzt und teure Kuren ersparen.


Aus der täglichen Praxis kenne ich viele Beispiele für alle der genannten Punkte, auch die zunächst weniger offensichtlichen wie Verbesserung der Verdauung und der Herzfunktion.



Die häufigsten Störquellen

Bei den meisten Menschen seien eine oder mehrere der folgenden gewohnheitsmäßigen Fehlbelastungen bei der Atmung zu beobachten, so Alexander, insbesondere durch eine zu starke und offensichtliche Anspannung der Muskeln in Hals, Kehle und Nacken:


  1. Ein Herunterziehen des Kehlkopfs (distinct depression of the larynx)

  2. Ein Hochziehen der Schultern, was Atmung stark behindert

  3. Geräuschvolles “Ziehen” der Luft beim Einatmen: Schnaufen (sniffing) bei Nasenatmung - keuchendes (gasping) Geräusch  bei Mundatmung

  4. Eine einengendes Anspannen der Nasenpassage für die Luft

  5. Schlechte Beweglichkeit von Brustkorb und Rippen und damit eingeschränkte Vitalkapazität (Lungenvolumen)

  6. Die schlechte Angewohnheit vorwiegend durch den Mund zu atmen




Wenn du es schaffst diese Störquellen zu verringern, wird sich die Atmung spürbar verbessern. Manches ist leichter als anderes zu lassen, für manches braucht es etwas mehr Wissen und Begleitung. An diesen Elementen wird auch bei Alexander-Sitzungen oder Workshops gearbeitet, auch wenn das nicht immer explizit ausgedrückt wird.


Ein guter Indikator für Störquellen, sind die Atemgeräusche.

Wenn etwas zu hören ist, ein Ziehen, Schnaufen, Keuchen beim Atmen durch Nase oder Mund, dann deutet das auf zu viel Anspannung hin, Zunge, Gaumen oder Kiefer engen dann die Luftpassagen durch Nase und Mund ein. Auch die Muskulatur im Gesicht - Nase, Wangen, Augen... - muss da genauer unter die Lupe genommen werden.


Die Angewohnheit vorwiegend durch den Mund zu atmen, fördert eine Haltung, die die Brustkorbbeweglichkeit einschränkt und zuviel Spannung in Hals, Nacken und Kehle bewirkt, insbesondere wenn der Kopf in den Nacken gezogen und so der Luftweg im Hals verengt wird.



Das Zwerchfell erinnert in seiner Form und seinen Bewegungen an eine Qualle. Damit sich unser Hauptatemmuskel tief im Brustkorb so frei bewegen kann, müssen unnötige Spannungen drumherum abgebaut werden.


Der Hauptatemmotor

All diese Anspannungen sind genauer betrachtet Kompensationen für eine unzureichende Aktivierung des Hauptatemmotors:


Der wichtigste Faktor für freie Atmung ist die Beweglichkeit von Brustkorb und Rippen. Denn ihre freie Bewegung im Team mit dem Zwerchfell im Inneren schafft die Grundlage, dass Atem geschieht, statt gemacht wird. Durch Weiten des Brustkorbes erzeugt dieses Team einen Unterdruck, der Luft in die Lungen einsaugt. Dieser Hauptmechanismus öffnet auch die Passagen für die Luft beim Ein- und Ausströmen, erklärte Alexander. Es weitet automatisch die Nasenflügel. Ein tiefer Atemzug hebt auch den weichen Gaumen.


Hier ein Experiment zum selbst Ausprobieren:


a) Ziehe Luft die Luft durch die Nase ein.

Im Kontrast dazu:

b) Erlaube den den Rippen des gesamten Brustkorbs sich zu bewegen. Vorn, oben, unten, auch unter den Armen und den Achselhöhlen, auch hinten im Rücken, zwischen den Schulterblättern.


Schon der Perspektivwechsel, wo die Aktion tatsächlich stattfindet - Ziehen in der Nase oder Bewegung im Brustkorb, kann das Atemmuster verändern. Wenn du nichts hörst, hast du weniger angespannt.


Der Brustkorb funktioniert ähnlich wie ein Blasebalg. Die Aktion findet nicht vorn an der engen Öffnung statt, sondern hinten im großen Bauch des Blasebalgs. Ziehen an der Nase macht Nasenflügel eng oder angestrengt weit und kontrahiert (verengt) die Nasenpassage der Luft. Geräuschvolles Einziehen durch den Mund kann begleitet sein etwa durch ein Zurückziehen der Zunge in den Rachen oder Herunterziehen des Kehlkopfs statt die kraftvolleren Muskeln des Brustkorbs arbeiten zu lassen.


Wichtigste Regel: Einsaugen lassen statt ziehen

Alexanders Ansatz ist bestechend einfach und fantastisch tiefgreifend. Ich fange an mit der klaren Unterscheidung zwischen Luft ziehen in Nase, Mund, Kehle und Einsaugen lassen durch das Erlauben der Brustkorb-Bewegungen.


Ich muss die Luft nicht holen. Sie strömt von allein durch atmosphärische Druckunterschiede ein und wieder aus.


Geräuschvolles Ziehen macht tendenziell die Passagen der Luft in Nase und Kehle enger. Weil ich die Luft holen will, etwa fürs Singen und Sprechen, bekomme ich paradoxerweise weniger Luft in der kurzen Zeit der Sprech- und Singpausen. Das Einströmen lassen der Luft erlaubt dem kraftvollen Brustkorb-Zwerchfell-Team die Arbeit zu tun. Und diese Power öffnet auch die Luftpassagen von Nase, Mund, Kehle. Die schwächerem Muskeln der Nasenflügel oder Kehle wollen nicht dafür zweckentfremdet werden, sie sind nicht für das Luftholen gedacht.


Als Tipp: Eine recht einfache Art das Anzuregen besteht darin, zunächst die Luft möglichst ungestört ausströmen zu lassen und dann zu warten bis der Impuls zum Einatmen von allein kommt. Es wird passieren, denn es ist eine Reflex.


Ausgehend von dieser einfachen Unterscheidung- Luft “ziehen” - Luft durch atmosphärischen Unterdruck im Brustkorb einströmen lassen - kann ich dann mehr in die Details gehen. Ich schaue welche Muskeln im Mund-Rachenraum genau  den Atemmechanismus behindern, etwa Anpannung im Kiefer, in der Zunge, im Gaumen, um den Kehlkopf. Das beugt zugleich Stimmproblemen vor und macht die Stimme freier.


Rippenbeweglichkeit ist der Gradmesser freier Atmung.


Denn diese Durchlässigkeit bestimmt wie vollständig und ungestört die Zwerchfell-Brustkorb-Bewegung abläuft und somit wieviel Kraft der Hauptatem-Motor entfalten kann. Rippenbeweglichkeit ist ein Nebenprodukt guter Gesamtkoordination des Körpers als Ganzes. Die Rippen haben ihre Gelenke an der Wirbelsäule, über den Rippen sind die Muskeln, die Arme und Kopf bewegen, die obersten Beinmuskeln setzen beim Zwerchfell an. Jegliche Fehlhaltung, wie Hohlkreuz oder eingesunkenes Brustbein schränkt die Rippenbeweglichkeit ein. Spannung in den Beinen ebenfalls, wie auch eine gestörte Verdauung. Anders gesagt: um den Atem freizulegen, muss ich auch daran arbeiten, wie stehe, sitze und mich bewege.. Das heißt, um die Beweglichkeit des Brustkorbs zu verbessern, muss ich an der Haltung arbeiten oder besser ausgedrückt: an müheloser Aufrichtung, einer Haltung ohne Halten. Denn wenn was meist mit Haltungstipps à la Schultern zurückziehen, Brust raus, Bauch rein vermittelt wird, führt eben eher zu Halten, also verringerter Rippenbeweglichkeit.


Die Beweglichkeit des Brustkorbs ist auch ein Gradmesser guter Haltung.



So unterschiedlich kann die Vorstellung von den eigenen Rippen sein. Meine Fantasien über den eigenen Körperbau beeinflussen, wie gut meine Körperteile funktionieren

Um den Brustkorb gibt es außerdem jede Menge blinde Flecken auf der eigenen Körperlandkarte, will heißen: Viele Bereiche sind eher unbewusst. Deshalb ist es oft auch unbewusst, dass dort wenig Rippenbewegung stattfindet, etwa unter den Armen, auf Rückseite des Brustkorbs, zwischen den Schulterblättern, bei den unteren Rippen.


Kurz: Meine Atemmuster sind durchwirkt von meinen Haltemustern und Haltemuster sind immer auch Verhaltensmuster, die sich manchmal zu Lebensmustern fügen. Atem ist deshalb nicht nur ein rein körperliches Problem. Vielleicht wollte Alexander deshalb nicht mehr nur der Atem-Mann sein. Es geht um die Frage: Wie und warum spanne ich zuviel an in den Situationen meines Alltags und bei den Dingen, die ich so tue in meinem Leben? Wir sind immer als ganzes Selbst unterwegs. Wie unter einem Brennglas zeigen sich meine Muster im kritischen Moment, wenn ich die Absicht habe etwas zu tun. Und das Licht der Bewusstheit in diese kritischen Momente zu bringen, ist ein Kernbestandteil der Alexander-Arbeit.


* Alexander-Lehrerin Penelope East hat dazu viele umfangreiche Recherchen angestellt. Sehr zu empfehlen: https://penelope-s-school-4df3.thinkific.com/courses/walk-alongside-Alexander

 
 
 

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